Infrastrukturlösung unter schwierigen Bedingungen
Radfahrgerechter Umbau des engen Straßenraumes der Hamburger Straße

1. Ausgangssituation, Darstellung der Projektidee und -ziele
1.1. Situation vor Ort
Die Hamburger Straße ist Bestandteil einer direkten Achse von der
Stadtmitte Bremens über das Steintorviertel bis zum Stadtteil
Hastedt. Trotz der ungewöhnlich schmalen Straßenraumbreite von
teilweise weniger als 18,00 m hat die Straße verkehrlich
vielfältige Aufgaben und Funktionen zu erfüllen:
- Mit ihrer Funktion als Hauptsammelstraße bzw. in Teilen als Sammelstraße hat die Hamburger Straße eine durchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung (DTV) von ca. 9000 Kfz / 24 Stunden.
- Sie hat eine wichtige Funktion für den öffentlichen Personennahverkehr, da auf ihr die Straßenbahnlinie 3 verkehrt und in Teilbereichen die Buslinie 22.
- Sie ist eine Radfahrer-Achse mit hoher stadtweiter Verbindungsqualität sowie mit einer zentralen Lage in einem Wohngebiet und hat damit eine wichtige lokale Verbindungsfunktion besonders für Schüler, da mehrere Schulen im Einzugsgebiet liegen.
- Die Hamburger Straße stellt eine Wohn- und Geschäftsstraße mit teilweise erhöhtem Fußgängeraufkommen dar.
- Die Hamburger Straße ist wichtig für den ruhenden Verkehr der Anwohner und Kunden, aber auch für Liefer- und Ladeverkehr.
Städtebaulich stellt sich die Hamburger Straße im westlichen Abschnitt als ein alter Bremer Straßenzug (Reihenhausbebauung, Baujahr um ca. 1900) dar. Typisch sind die überwiegend noch erhalten gebliebenen Vorgärten, die im Wechsel mit den ausgepflasterten Bereichen ehemaliger Vorgärten (sog. freigelegte Vorgärten) vor Geschäften oder Restaurationsbetrieben vorzufinden sind. Einzelne vorhandene Bäume weisen auf den ehemaligen Alleecharakter der Straße hin (Bild 2, Die Hamburger Straße vor dem Umbau).
1.2 Bedarfe und Probleme vor Ort
Die Struktur der Hamburger Straße zwischen der Lüneburger Straße und der Stader Straße wies städtebaulich sowie für den Verkehrsablauf einen sehr unbefriedigenden Zustand auf und war somit für alle Verkehrsteilnehmer unattraktiv. Dies galt besonders für Radfahrer, da Radverkehrsanlagen fast durchgängig fehlten. Die Führung des Radverkehrs auf der damals überbreiten Fahrbahn (mit 10m-11m Breite), zwischen den häufig auf der Fahrbahn abgestellten Kraftfahrzeugen und der in Mittellage verkehrenden Straßenbahn, war extrem problematisch und gefährlich. Unakzeptabel für Radfahrer war auch der ehemalige Pflasterbelag aus Großgranit- und Kleingranit zwischen den Gleisen (Bild 3, Radfahrer im Straßenraum vor dem Umbau).
Ein weiteres, schwer zu lösendes Problem betraf den ruhenden Verkehr: Der hohe Parkdruck führte dazu, dass nicht nur die zugeordneten Parkflächen in den Nebenanlagen zwischen den Bäumen benutzt wurden, sondern auch illegal und unkontrolliert in zweiter Reihe auf der Fahrbahn geparkt wurde. Außerdem wurden Haltestellen und Gehwege zugeparkt bzw. eingeengt. Im Zusammenhang mit diesem Problem ließen sich in der Vergangenheit auch keine nennenswerte Nachpflanzungen von Bäumen mehr realisieren, weil die wenigen legalen Stellplätze zwischen den Bäumen nicht noch weiter reduziert werden durften. So waren die verbliebenen Baumreihen so stark reduziert, dass sie nicht mehr als ein raumbildendes Element angesehen werden konnten. In solche "baumfrei gewordenen" Flächen drängten über die Jahrzehnte auch noch die Versorgungsträger, die diese Flächen für ihre unterirdischen Versorgungsleitungen nutzen und so ebenfalls diese Flächen für eine nachträgliche Wiederbepflanzung blockierten.
Auch der öffentliche Personennahverkehr befand sich mit der Führung der Straßenbahn in Mittellage der Straße in einer nicht zufrieden stellenden Lage. Mit dem zunehmenden Verkehr war eine störungsfreie Fahrt der Straßenbahn immer seltener möglich; der Straßenbahnbetrieb wurde zunehmend vom Fließverkehr behindert. In Haltestellenbereichen hielt die Straßenbahn in der Mitte der überbreiten Fahrbahn, was für die Fahrgäste höchst unattraktiv war, weil sie zum Zu- und Aussteigen die Fahrbahn betreten mussten (so genannte (unsignalisierte) Zeitinsel).
Durch die Dominanz der Kraftfahrzeuge wirkte der gesamte Straßenzug sehr unaufgeräumt und unübersichtlich. Das Gefährdungspotenzial für Fußgänger und Radfahrer durch Kraftfahrzeugverkehr und Straßenbahn wurde besonders hoch. (Bild 4, Straßenquerschnitt (A-A) vor der Umgestaltung)
2. Analyse des Problembedarfs und Planung der Maßnahme
Die städtebaulichen Missstände der Hamburger Straße waren seit längerer Zeit bekannt. Erste Überlegungen für eine neue Aufteilung des Straßenraumes sind bereits in den Jahren 1989/90 angestellt worden, die auf das damalige Planungsamt (Stadtplanung) und des Amts für Straßen und Brückenbau (das heutige "Amt für Straßen und Verkehr" (ASV)) zurückgingen. Damals standen dabei die Anlage von Radverkehrsanlagen und der Erhalt der ehemaligen Baumachsen im Vordergrund (Querschnittsuntersuchungen).
Lange Zeit galt das Projekt jedoch angesichts der hohen Kosten als nicht finanzierbar sowie politisch als zu brisant und wurde daher immer wieder zurückgestellt. Mit dem anstehenden Gleisersatzbau der Bremer Straßenbahn AG (BS AG) und einem gleichzeitig anstehendem großen Kanalbauvorhaben ist es dem ASV auf Grundlage der damals entwickelten Idee gelungen, die verantwortlichen politischen Gremien (ab dem Jahr 2000) für einen Gesamtumbau der Straße mit Neuordnung der Verkehrsflächen zu gewinnen. Das ASV hat sich dann an die Öffentlichkeit gewandt, um die Umbaumaßnahme zu diskutieren. Dazu wurde das Vorhaben mehrfach auf öffentlichen Sitzungen, mit den örtlichen, politischen Gremien (Beirat "östliche Vorstadt"), mit der AG Radverkehr (Arbeitsgemeinschaft, in dem u.a. der ADFC vertreten ist), der BS AG und mit anderen Interessenvertretern kontrovers diskutiert. Die BS AG sah die Planung anfänglich kritisch, weil das neue Konzept keinen Raum mehr für einen separaten Gleiskörper der Straßenbahn vorsah. Doch schließlich ist die Planung als ein ausgewogener Kompromiss, der die Gegebenheiten und Interessen angemessen berücksichtigte, akzeptiert worden. Als weiterer Schritt wurde ein Planungsauftrag an ein Planungsbüro vergeben.
Während die Planung im Prinzip schnell die Zustimmung der AG Radverkehr fand, stieß sie bei der neu gegründeten Interessengemeinschaft der Kaufleute (Werbegemeinschaft) auf heftigen Widerstand. Das ASV ist damals nicht nur an die verschieden politischen Fraktionen herangetreten, sondern hat darüber hinaus - zusammen mit den Vertretern der Werbegemeinschaft und Handelskammer - mit jedem interessierten Anlieger Gespräche vor Ort geführt, um hier auf die verschiedenen individuelle Wünsche und Bedürfnisse eingehen zu können.
Schließlich konnte doch noch ein Konsens erzielt werden: Dabei wurde die Anzahl der geplanten Baumstandorte reduziert sowie alle zur Verfügung stehende (Grün-) Flächen ausgenutzt, um noch zusätzliche Stellflächen zu schaffen. Damit ist es nahezu gelungen, alle bislang entfallenen (auch illegalen) Stellplätze vollständig zu kompensieren, ohne dabei insgesamt das Planungskonzept in Frage zu stellen. Zusätzlich hat die Anwohnerschaft erreicht, dass nur ein kleiner Teil dieser neuer Stellflächen bewirtschaftet wurden. Vor der Bauausführung verteilte das ASV in Abstimmung mit dem Senator für Bau, Umwelt und Verkehr an alle Bewohner des Quartiers farbige Faltblätter, mit denen über Sinn, Umfang und Zeitablauf des Vorhabens informiert wurde. Des Weiteren wurde und wird über das Projekt im Internet informiert. Für die Maßnahme wurde kein Planfeststellungsverfahren notwendig (Genehmigung gem. §18 (2) PBfeG).
3. Umsetzung der Maßnahme
3.1. Durchführung
Die Planung "Hamburger Straße" wurde in den Jahren 2001 bis 2002 gemeinsam mit dem Büro "Ingenieurgemeinschaft Schnüll Haller und Partner", Hannover und dem ASV erstellt. Die Projektleitung für Planung und Realisierung oblagen dem ASV (Amt für Straßen und Verkehr) Bremen im Auftrag des Senators für Bau, Umwelt und Verkehr. Der westliche Teil der Hamburger Straße (Stader Str. bis Lüneburger Str.) stellt das letzte von insgesamt drei Teilstücken dar, die über verschiedene Projektmittel finanziert, geplant und realisiert worden sind. Die Gesamtmaßnahme erstreckt sich dabei über den Straßenzug Hamburger Straße Auf der Hohwisch - Fleetrade mit einer Gesamtlänge von ca. 3 km. Realisiert wurde das hier vorgestellte, letzte Teilstück (von ca. 1,1 km) ab Januar 2003 bis November 2004.
3.2. Konzept
Grundsätzlich sieht das Konzept vor, die durchgehend überbreiten Fahrbahnen auf zwei Fahrstreifen mit straßenbündigem Bahnkörper zurückzubauen. Die Gleiszonen werden durchgehend außer in den Stauraumbereichen vor einigen wichtigen Kreuzung vom Kfz-Verkehr mit befahren. Die Lichtsignalanlagen werden entsprechend erneuert; dadurch kann eine neue verkehrsabhängige Signalsteuerung (ansteuerbar durch ÖPNV) eingerichtet werden. In den Seitenräumen werden beiderseits der Fahrbahn Parkstreifen angeordnet. Lange, durchgehende Parkreihen sind durch baulich hergestellte Überquerungshilfen für Fußgänger unterbrochen, um die Trennwirkung gering zu halten und die Sicherheit zu verbessern. Es werden durchgängig Radverkehrsanlagen geschaffen. (Bild 5 bis 10, Straßenbaulicher Entwurf der Maßnahme, Abbildung von West nach Ost, Kartenteil 1-6/6) Neben den separaten Radfahrstreifen auf der Fahrbahn erhalten die Radfahrer streckenweise auch baulich abgetrennte Radwege (orientiert sich an den vorhandenen Baumachsen und Straßenräumen) in den Nebenanlagen. In Bereichen der Haltestellen wird der Radfahrer auf separaten Radwegen hinter dem Wartebereich geführt, um Gefährdungen des Radfahrers im Gleisbereich zu minimieren. Alle Radwegeanlagen sind in Rot abgesetzt (Bild 11, Radfahrer im Straßenraum nach dem Umbau). Die Installation von vielen Fahrradständern in den Nebenanlagen verbessert die Situation für Radfahrer umfassend.
3.3. Besonderheiten
Unter der Vorgabe des relativ engen und begrenzten Straßenraums wird mit der Planung eine sinnvolle Abwägung aller Belange erreicht. Dabei orientiert sich die Lösung für alle Verkehrsteilnehmer ausschließlich an den Mindestanforderungen und -abmessungen. Bei dem besonders engen Straßenraum (Breite um 18 m) ist es erst durch die grundsätzliche Überlegung, die Straßenbahn mit dem Kraftfahrzeugverkehr auf einen Fahrstreifen je Richtung zusammenzufassen und seitlich dazu jeweils einen Radfahrstreifen auf die Fahrbahn anzulegen, möglich geworden, den nötigen Raum für Radfahrer zu schaffen. Nur so gelingt es, die notwendigen Lichtraumprofile (Raum, der sich aus den Abmessungen der jeweiligen Fahrzeugart plus seitliche Sicherheitszuschläge zusammensetzt) sowie Baumachsabstände zur Straßenbahn noch einzuhalten und doppelt auszunutzen (Bild 12, Straßenquerschnitt A-A (C-C) nach der Maßnahme). Der besondere Clou: Das ehemals widerrechtliche und beliebte Parken von Kraftfahrzeugen in "zweiter Reihe" wird auf dem neuen Radfahrstreifen durch seine Abmaße unmöglich, wenn die Kraftfahrzeuge nicht in Konflikt mit der nachfolgende Straßenbahn geraten wollen. So gesehen wird der Radfahrstreifen also von der Straßenbahn frei gehalten.
3.4. Umfeld/Ökologie/Straßenraumgestaltung
Auch städtebaulich ist der Umbau als ein großer Erfolg zu werten,
weil auf die gewachsene Struktur des Straßenraums ein hoher Wert
gelegt worden ist. Da weder in den Bestand der Vorgärten noch in
den Baumbestand (bis auf wenige Einzelbäume) eingriffen wurde, ist
es gelungen, weitgehend die Identität des Straßenraumes zu
erhalten. Darüber hinaus ist das Wohnumfeld durch zahlreiche neue
Anpflanzungen sowie Ergänzungen der vorhandenen Baumreihen
aufgewertet worden. Mit der Auswahl des Materials ist behutsam
umgegangen worden. Für das Material der Fahrbahn aus
Granitgroßpflaster wurde aus Gründen zur Reduzierung von Lärm und
einer verbesserten Befahrbarkeit für Radfahrer alternativ eine neue
Asphaltdecke gewählt. Das gebrauchte Großgranitpflaster fand in den
neuen Parkstreifen Wiederverwendung. Zusätzlich werten
Kleingranit-Pflasterstreifen in den Gehwegbereichen die Bereiche
der Fußgänger auf und bilden dabei eine Orientierungshilfe für
Sehbehinderte.
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